Was haben Fußballer nach einer krachenden Niederlage und verletzte Hunde gemeinsam? Sie lecken ihre Wunden. Ok, das war jetzt ein ziemlich flacher Einstieg. Nichtsdestotrotz steckt hinter dem geflügelten Wort vom „seine Wunden lecken“ eine spannende Wahrheit. Und diese hat etwas mit dem Hundespeichel zu tun, dem im Mittelalter bereits heilende Kräfte zugeschrieben wurden.

Dem gegenüber stehen Berichte, dass Hundebesitzer bzw. Hundebesitzerinnen wie Marie Trainer aus dem US-Bundesstaat Ohio durch den Kontakt mit Hundespeichel so schwer erkrankt sind, dass gleich mehrere Gliedmaßen abgenommen werden mussten. Was also ist dran am Mythos Hundespeichel? Ist Hundespeichel ein potenzielles Heilmittel oder ist er für uns Menschen tatsächlich gefährlich? Wir haben die Antworten.

Die eine Seite der Medaille: Hundespeichel als Antiseptikum

Gehörst Du auch zu den Menschen, die sich von ihrem Vierbeiner nach Herzenslust abschlabbern lassen? Dann zählst Du hierzulande tatsächlich zur Minderheit der Hundehalter. Selbst die meisten Hundefreunde halten das Abschlecken für unhygienisch. Damit haben sie einerseits Recht, andererseits aber auch wieder nicht. Aber fangen wir von vorne an:

Warum lecken Hunde ihre Verletzungen?

Schon im Mittelalter fiel den Menschen auf, dass Hunde ihre Wunden ausgiebig lecken, um diese zu säubern. Damit aber noch nicht genug, denn Hunde neigen von Natur aus häufig ebenfalls dazu, auch die Wunden ihres Halters abschlabbern zu wollen. Es scheint also ein natürlicher Instinkt des Hundes zu sein. Dieses Prinzip übertrug der eine oder andere mittelalterliche Mediziner auf den Menschen und ließ Hunde die Wunden seiner verletzten Patienten ablecken. Einige Male sogar mit Erfolg. Aber warum ist das so?

Schon Anfang des 20. Jahrhunderts beschäftigten sich Wissenschaftler wie K. L. Powell und B. L. Hart von der veterinärmedizinischen Fakultät der Universität von Kalifornien mit dem Phänomen. Damals konnten die Forscher bestätigen, dass der Speichel von Hunden die Infektion mit bestimmten Bakterien verhindern kann. Als eine Ursache identifizierten die Kalifornier zwei Dinge: erstens die große Verdünnung der Bakterienkonzentration in der Wunde. Und zweitens das mechanische Herauslecken der Erreger.

Antibakterielle Komponenten im Hundespeichel

Noch wesentlich spannender ist aber, dass Hundespeichel tatsächlich antibakterielle Komponenten enthält. Wie unter anderem Jörg Jores von der Universität Bern berichtet, handelt es sich um einen Stoff namens Lysozym. Dieser ist gegen einige Bakterien wie Streptokokken und Staphylokokken wirksam. Darüber hinaus sind im Hundespeichel sogenannte Immungloboline (Antikörper) enthalten, die auch beim Menschen eine wichtige Rolle im Abwehrsystem spielen. Im Rahmen eines Forschungsprojekts befasste sich auch eine Schülerin der International School of Luxembourg mit diesem spannenden Thema.

„Ich wollte herausfinden, ob es Unterschiede in der antiseptischen Wirksamkeit von Hundespeichel je nach ihrem Alter und in Bezug auf andere antiseptische Lösungen gibt.“ Sidney Dam

Dazu nahm die Schülerin Speichelproben von Hunden und gab diese jeweils in Petrischalen mit E. coli- und S. albus-Bakterien sowie einer Nährstofflösung. Die Mischung gab die junge Wissenschaftlerin für fünf Tage bei 37 Grad in einen Brutschrank. Nach dem Ablauf des Zeitraums wurde die Bakterienbesiedlung mit Hilfe spezieller Zählungstabellen begonnen.

Um einen Vergleich zu schaffen, dienten Petrischalen mit Alkohol, Polysporin, hydroalkoholischem Gel, einem Antiseptikum für die Haut (Octeniderm) sowie Wasserstoffperoxid als Maßstab. Die Ergebnisse sind durchaus beachtenswert:

  • Hundespeichel hat tatsächlich eine schwach-antibakterielle Wirkung.
  • Der Speichel junger Hunde ist etwas wirksamer als der Speichel älterer Hunde.
  • An die antibakterielle Wirkung von Hand-, Wund- und Flächendesinfektionsmitteln reicht Hundespeichel aber bei weitem nicht heran.
  • Das wirksamste Mittel gegen Bakterien war Wasserstoffperoxid.

Interessant: Sydney Dam möchte ihre Forschungen zum Thema Hundespeichel in Zukunft fortsetzen. Die nächste Forschungsfrage, der sich die aktuell 17-Jährige widmen möchte, ist, ob sich die antibakterielle Wirksamkeit des Hundespeichels bei verschiedenen Rassen unterscheidet.

Die andere Seite der Medaille: Hundespeichel als lebensgefährliche Bedrohung

Die Ergebnisse hören sich positiv an, oder? Das bedeutet aber noch lange nicht, dass Du Deine Wunden von Deiner Fellnase abschlabbern lassen solltest. Der intensive Kontakt mit Hundespeichel kann nämlich auch getrost in die Hose gehen und sogar lebensbedrohliche Folgen haben. Warum das so ist, klären wir nach einer kurzen Geschichte rund um die US-Amerikanerin Marie Trainer aus Ohio.

Hundespeichel kostet Marie Trainer mehrere Gliedmaßen

Nach der Rückkehr aus dem Urlaub klagte die junge Marie Trainer plötzlich über leichte Erkältungssymptome sowie beginnende Rückenschmerzen. Kurz darauf breitete sich der Schmerz über Hände und Füße aus. Als dann auch noch Fieber hinzukam, brachte der Ehemann die junge Frau ins Krankenhaus.

Dort fanden die Ärzte zunächst keine Erklärung für die Beschwerden. Keine 24 Stunden nach der Einlieferung im Hospital trat bei der Frau ein Multiorganversagen ein. Der einzige Ausweg bestand darin, die US-Amerikanerin in ein künstliches Koma zu versetzen. Trotz aller Therapieversuche wütete die unheimliche Infektion weiter im Körper der Frau und breitete sich auf weitere Regionen aus. Nur drei Tage nach der Einlieferung ins Krankenhaus mussten die Ärzte beide Beine und beide Hände der Frau amputieren, um ihr Leben zu retten.

Ursächlich für den dramatischen Verlauf war eine schwere Blutvergiftung. Der Erreger konnte jedoch erst spät durch eine Blutuntersuchung nachgewiesen werden. Es war das Bakterium Capnocytophaga canimorsus. Dieses kommt häufig im Speichel von Hunden und Katzen vor. Während es für die Tiere völlig harmlos ist, kann es bei uns Menschen schwere Folgen wie Blutvergiftungen, Hirnhautentzündungen oder Wundbrand verursachen.

Warum ist das Bakterium so gefährlich?

Wir haben doch Antibiotika, warum ist das Bakterium aus dem Hundespeichel dann so ein großes Problem? Vorrangig besteht die Problematik darin, dass das Bakterium Capnocytophaga canimorsus noch weitestgehend unerforscht ist und uns damit das Wissen über die Beschaffenheit, die Auswirkungen und die Wechselwirkungen fehlt.

Dennoch wissen wir bereits, dass sich das Bakterium durch einen besonderen Umstand von vielen anderen Erregern unterscheidet: Das menschliche Immunsystem kann das Bakterium nicht identifizieren. Damit kann es sich schnell und unerkannt im Körper verbreiten und Schäden in den Organsystemen anrichten. Damit ist das Bakterium unberechenbar.

Leider ist die Geschichte von Marie Trainer kein Einzelfall. Im Jahr 2018 etwa machte der Fall von Greg Manteufel aus Wisconsin Schlagzeilen. Da ihn sein Pitbull unbemerkt mit dem Bakterium infiziert hatte, verlor der Mann Teile von Nase, Händen und Füßen. Auch die Kanadierin Christine Caron verlor durch eine Infektion mehrere Gliedmaßen. Die Ursache: ein wildes Spiel mit ihrem Shih Tzu, bei dem der Hund seine Halterin leicht biss.

Woher kommen die gefährlichen Bakterien im Hundespeichel?

Warum das Bakterium von unserem Körper nicht erkannt wird, ist noch unbekannt. Die Herkunft der Bakterien im Hundespeichel jedoch nicht. Ähnlich wie der menschliche Mundraum samt Speichel ist auch der Mundraum von Hunden ein Hort für Bakterien aller Art. Bereits durch das Muttertier bekommen Welpen eine ganze Menge Mikroorganismen mit auf den Lebensweg, die auf natürliche Weise auch im Speichel vorkommen.

Dabei wird das mikrobakterielle Milieu im Hundespeichel durch die Umwelt beeinflusst und ändert sich damit ständig. Immerhin erleben Hunde ihre Welt hauptsächlich mit ihrer Schnauze. Schnell haben sich so durch den Kontakt mit Kot oder dem Hinterteil eines Artgenossen Bakterien übertragen. Nicht umsonst finden sich im Speichel von Hunden häufig auch E. coli-Bakterien. Diese sind zwar nicht so lebensbedrohlich wie das Bakterium Capnocytophaga canimorsus. Trotzdem können sie beim Menschen zu unangenehmen Harnwegsinfektionen oder einer ausgewachsenen Magen-Darm-Grippe führen.

Die Moral von der Geschicht: Abschlecken? Im Zweifel lieber nicht!

Ja, Hundespeichel hat eine leicht antibakterielle Wirkung. Der Mythos, dass sich Hundespeichel als Heilmittel für Wunden einsetzen lässt, ist aber nicht mehr oder weniger als ein Mythos. Mit modernen Medikamenten bzw. Antibiotika haben wir deutlich schärfere Pfeile im Köcher. Was ist aber nun mit den potenziell schädlichen Bakterien aus dem Hundespeichel?

Wir möchten an dieser Stelle keine Angst verbreiten. Die enthaltenen Bakterien sind zwar gefährlich, ein Grund zur Panik besteht jedoch nicht. Es ist nicht notwendig, dass Du alle schlabberigen Liebesbeweise Deiner Fellnase zurückweist. Das eine oder andere Hundeküsschen ist natürlich völlig ok. Nichtsdestotrotz raten auch Veterinärmediziner zu einer vernünftigen Hygiene.

Regelmäßiges Händewaschen und das Waschen des Gesichts nach einer „Schlabberattacke“ ist eine einfache Schutzmaßnahme. Immerhin lassen sich so auch andere potenziell krankmachende Keime abwehren. Aber in puncto Handhygiene dürften wir ja, Corona sei Dank, mittlerweile auf Zack sein. Eine Ausnahme besteht für ältere und immungeschwächte Personen sowie für kleine Kinder.

Hier können die Erreger großen Schaden anrichten. Was Du auf jeden Fall vermeiden solltest, ist der Kontakt von Hundespeichel mit offenen Wunden. Hier ist die Gefahr für eine folgenschwere Infektion am höchsten. Immerhin tragen rund 25 Prozent aller Hunde das Bakterium Capnocytophaga canimorsus in ihrem Speichel.